“Wenn du schreibst, dann lass dein Herz sprechen, nicht deinen Verstand. Erschaffe Bilder und grosse Träume und ganz wichtig: Versuche niemals zu beeindrucken”. Als ich diese Zeile von Lars Mend las, wurde mir warm ums Herz. Denn es gibt so viele Dinge die ich mit dir und der Welt teilen möchte, doch oftmals finde ich nicht die richtigen Worte. Die richtigen Worte finde ich auch nicht für die letzten paar Wochen. Folge den Worten von Lars und lasse nun mein Herz sprechen.
Wenn du mein Monatsrückblick März 2020 gelesen hast, weisst du, dass ich ziemlich aus meiner Komfortzone geschmissen wurde, gleichzeitig zeigte sich mein verborgenes Potenzial. Ich war im Flow und alles lief mir ziemlich einfach durch die Finger.
Nach jedem Sonnenschein kommt der Regen und ausserdem bin ich der festen Überzeugung, dass die aktuelle Situation uns jedem persönlich etwas zeigen möchte, Dinge an die Oberfläche bringt, die wir alle schon so lange unterdrückt und versteckt haben. Und so ist auch bei mir. Es fällt mir nicht leicht diese Worte zu schreiben, denn ich habe eine riesige Angst vor der Ablehnung, nicht mehr gemocht zu werden und aufzufliegen, nicht genug zu sein, wenn du die Wahrheit über mich erfährst.
Doch gehen wir zurück ins Jahr 2013. Es war ein kühler Frühlingssonntag. Ich war mit meinen Eltern und meinem Bruder auf dem Gurten – unserem Hausberg in Bern. Wir genossen die gemeinsame Zeit und machten noch ein paar Erinnerungsfotos. Ich weiss nicht genau, wann ich mir die Fotos ansah, doch ich erschrak in diesem Moment. Denn in diesem Augenblick wurde mir erst richtig bewusst, dass sich meine Haarscheitel sehr verbreitert hat. Sprich ich hatte ziemlichen Haarausfall und es im Alltag nicht einmal bewusst wahrgenommen. Plötzlich schämte ich mich dafür. Wollte es verstecken, damit sich die anderen Menschen nicht darüber lustig machen können oder ich abgelehnt werde. So suchte ich nach einer Lösung. Sie wurde mir schnell auf dem Tablett serviert. Es handelte sich um ein Haar-Aufbau-Fasern-Produkt. Dies konnte ich auf die Scheitel auftragen und die sichtbare Kopfhaut verschwand. Es half mir dabei mein “Problem” unsichtbar zu machen und wurde mir erst beim Haare waschen wieder offenbar. Ich versuchte verschiedene Dinge (Haarshampoo, Tabletten, Extensions etc.) aus, doch nichts half. Ich verdrängte die dahinter liegende Botschaft und versteckte mich weiterhin hinter dem Produkt.
Als ich mich einmal einer lieben Freundin offenbarte, teilte sie mir einige Wochen später mit, dass ihre Coiffeuse ein Model für eine Haarverdichtung sucht. Ja und so habe ich mich bei Ursula Wyssmann in Thun gemeldet, um mehr über diesen Lösungsansatz zu erfahren. Wir vereinbarten kurz darauf einen Termin und besprachen gemeinsam die Situation.
Für mich war schnell klar, dass ich dieses Produkt haben will. So bestelle ich kurzerhand ein Haarteil. Bei diesem Produkt handelt es sich nicht um eine Perücke, sondern um Echthaare die an ein Netz geknüpft sind. Dieses wird Mithilfe eines Bondingrings ins Eigenhaar geknüpft und “gelötet” – tut mir leid, kenne den Fachbegriff nicht. Das Eigenhaar wird anschliessend durch das Netz gezogen. Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Ich war so aufgeregt und konnte es kaum erwarten, bis ich es auf meinem Kopf hatte. Eine Lösung die mir besser half mein Problem zu verstecken, doch nicht nur das Problem wurde versteckt, sondern ich versteckte mich immer mehr dahinter. Und war dabei meine Freiheit aufzugeben und mich zu verpflichten. Dies war im Jahr 2016.

Nur ca. ein Jahr später stellte ich mit schrecken fest, dass der Haarboden unter der dem Haarteil zu sehen war. Und so spürte ich wieder, wie die Angst in mir hochkam. Kurz darauf hatte ich wieder Albträume und eine wahnsinnige Unruhe in mir. Ich musste so oft weinen. Mir schnürt es beim Schreiben dieser Worte die Luft ab und ich habe das Gefühl ich bin wieder in dieser Situation.
Als ich meiner Coiffeuse meine Beobachtung mitteilte, hatte sie nach einer kurzen Recherche eine wunderbare Lösung bereit. Es gab Haarteile die mit einer sogenannte Zunge versehen waren. Das heisst, das Haarteil hatte an gewissen Stellen kein Netz, sondern sah von innen aus wie eine Perücke. Meine Coiffeuse legte mir ans Herzen mich bei meiner Ärztin zu melden. Für sie war es unerklärlich und unvorstellbar, dass ich in meinem Alter bereits ein solches leiden hatte. Wir wussten gemeinsam, dass Stress den ich mir selbst immer wieder aufbaute nicht der einzige Grund sein konnte. Erst in diesem Moment hatte ich einen kurzen Moment der Hoffnung. Ja, vielleicht konnte mir die Schulmedizin helfen. So vereinbarte ich einen Termin bei der Hausärztin.
Es verging eine kurze Zeit bis ich den Termin wahrnehmen durfte. Als sie die Bilder sah, war sie schockiert. Denn es sah wirklich schlimm aus. Der Zustand meiner Haare hat sich enorm verschlechtert und für sie war klar, dass ein Spezialist beigezogen werden musste. Sie übermittelte mich und einige Monate später war ich das erste Mal ohne Haarteil unterwegs. Ach das war ein stressiger Tag für mich, sowohl physisch als auch psychisch. Ich fuhr morgens nach Thun um das Haarteil zu entfernen und fuhr mit einer Mütze auf dem Kopf, wo ich meine ungewaschenen Haaren versteckte, zurück nach Bern, Richtung Zürich. Das war eine Leidensprozedur beim Spezialisten. Nebst unangenehmen Fragen zu meiner Körperbehaarung, nahmen sie mir noch Haar- und Blutproben. Als das Ganze durch war, fuhr ich zurück nach Thun, um mir das Haarteil wieder ins Eigenhaar zu setzen.

Nach einigen Wochen erhielt ich das Laborergebnis. Ich war wahnsinnig nervös. Denn ich hoffte so fest, dass es ein Heilmittel für mein Leiden gab, doch irgendwie spürte ich, dass es keine positiven Nachrichten geben wird und mir die Schulmedizin nicht helfen kann. Dies war dann auch so. Die Diagnose lautete: Zu viele männliche Hormone und genetische Vererbung.
Ich war am Boden zerstört. Denn in mir wusste ich, dass dies nicht die richtige Wahrheit war und meine Haare wieder nachwachsen werden. Doch ich wusste nicht weiter und fuhr weiterhin alle drei Wochen nach Thun um das Haarteil entweder nachzuziehen oder es wegzunehmen und es neu auf dem Kopf zu spannen.
Die Tage nach dem Anziehen sind nicht angenehm. Hatte jeweils das Gefühl, als hätte ich ein Kopflifting hinter mir! Das läuft jetzt seit Jahren so und es würde auch so weitergehen, doch das Leben wollte es anders. Als der Lockdown bekannt wurde und der Bundesrat mitteilte, dass alle Geschäfte schliessen müssen, war ich mir den Konsequenzen noch gar nicht wirklich bewusst. Etwa eine Woche später begriff ich, dass ich gar nicht mehr zum Coiffeur gehen kann. Und da war sie wieder. Die Angst! Die Angst vor Ablehnung und nicht genug zu sein. Ich schrieb meiner Coiffeuse und anderen, die diese Dienstleistung anboten. Doch es sollte so sein, dass niemand gegen die Verordnung des Bundesrates verstossen wollte.
Ich versuchte mich mit dieser Situation abzufinden und suchte nach neuen Lösungen. Und kaum hatte ich mich dafür entschieden, wurden sie mir auch schon präsentiert: In einer Facebookgruppe teilte am 28. März 2020 Corinna Toni ihre Geschichte. Sie leidet an einer Autoimmunkrankheit, hat einen Kreisrundenhaarausfall und verliert ihre Haare. Das Nachwachsen ist nicht in Sicht. Sie litt unter dieser Situation und entschied sich die Haare abzurasieren und sich mit einer Glatze zu zeigen. Ihre Geschichte hat mich so berührt, dass ich meinen Mut zusammennahm und ihr eine Nachricht schrieb. Am nächsten Wochenende haben wir uns auch via Videotelefonie ausgetauscht. Durch ihre Worte fand ich den Mut einen nächsten Schritt zu gehen. Und war bereit mich von meinem Haarteil zu verabschieden und unabhängig zu sein. Sie gab mir den Kontakt von Aylin Celen. Aylin ist selbst von einer Autoimmunkrankheit betroffen und zeigt der Welt, wie sie mit ihrer Krankheit umgeht. Sie zeigt sich mit Glatze und mit Perücke. Sie ist eine unglaublich schöne Frau und hat mich definitiv darin bestärkt meinen nächsten Schritt zu gehen.
Ich habe mich entschieden eine Perücke zu kaufen, damit ich wieder eine Beziehung zu meinen Haaren und zu meiner Kopfhaut aufbauen kann. Darüber hinaus will ich mich mehr mit dem Thema Ernährung, Vitamine und Alternativmedizin auseinandersetzen. Denn ich bin immer noch der tiefen Überzeugung, dass sich meine Haargeschichte ändern kann, wenn ich lerne auf meinen Körper zu achten und wichtiger, mich genau so annehme und liebe wie ich bin.
Aktuell habe ich das Gefühl, dass ich richtig vom Universum, einer höheren Macht oder wie du es auch nennen möchtest, geprüft werde. Denn zuerst funktionierte meine Kreditkarte nicht und jetzt wurde meine bestellte Perücke an den Absender zurückgeschickt, weil wahrscheinlich ein Dokument fehlte. Mein Haarteil fühlt sich so an, als würd es jeden Moment vom Kopf fallen. Kann es aber nicht, da es hält und es erst mit einem Lösungsmittel entfernt werden kann. So warte ich geduldig und versuche das ganze positiv zu sehen.
In den letzten paar Tagen ging es mir nicht gut – was der Grund dafür ist, weiss ich nicht. Es ist ein Auf und Ab. Im einen Moment kann ich lachen und im nächsten könnte ich nur noch weinen. Ich bin in einem Änderungs- oder Loslösungsprozess – ich versuche mich der Situation hinzugeben, doch es ist herausfordernd. Ich leide und dieses Leiden bemerkte mein bester und lieber Freund Dennys.
So kam er letzten Donnerstag spontan bei mir vorbei, schnappte sich zwei Gläser und den Whisky. Füllte die beiden Gläser mit einem Schluck Oban, gab mir eines und fragte mich was los sei. Und so sagte ich ihm, dass ich sehr müde und wahrscheinlich durch meine bevorstehenden Tagen etwas durch den Wind bin. Das war der Anfang eines tiefgründigen und augenöffnendes Gespräch. Er machte mir mit gezielten Fragen bewusst, dass ich mich durch mein Aussehen, konkret durch meine Haare identifiziere. Ich setze alles daran, dass mein Umfeld und die Menschen es nicht sehen und erfahren. Konkret zeigt sich dies an meinem stetigen Weiterbildungen – die mich nicht wirklich glücklich machen -, am zu vielen arbeiten, es meinem Umfeld immer Recht machen möchte und der stetige Kampf um mein Gewicht und meine Figur. Dabei vergesse ich mich selbst, gebe mich auf, höre ich zu wenig auf mich und meine Intuition, habe aufgehört unbeschwert und im Hier und Jetzt zu leben. Ja, seine Worten trafen mein Herz. Mir liefen beim Zuhören nur noch die Tränen. Wie recht er doch hatte. Und das alles aus Angst vor Ablehnung, nicht genug zu sein und aufzufliegen, dass ich doch nicht so gut bin wie ich zu sein scheine.
Er fragte mich dann, ob ich mir eigentlich meinen Wert und meine Erfolge bewusst bin. Und als ich seine Frage verneinte, sagte er etwas was mich wirklich berührte. “Solange du dich selbst ablehnst und dich nicht liebst, so lange stehst du dir selbst, deinem Glücklich im Weg und wirst von den Menschen abgelehnt und nicht geliebt.” Erst beim Reflektieren wurde mir bewusst, was dies genau zu bedeuten hat und ich realisierte, warum all meine Freundschaften und Beziehung bis zum heutigen Zeitpunkt nicht funktioniert haben.
Ich denke es ist an der Zeit mir bewusst zu werden, was ich an mir liebe, mir meine Erfolge und meinen Selbstwert anzuerkennen und loszugehen. Denn eigentlich bin ich doch der wichtigste Mensch in meinem Leben, umso wichtiger ist es, zu mir zu stehen und zu schauen, dass es mir gut geht und ich glücklich bin.
Ja, es ist Zeit loszugehen und der erste Schritt ist es, mich nicht mehr zu verstecken und mich zu zeigen. Darum nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, teile meine Geschichte mit dir und zeige dir ein paar Fotos wo du mich mit meinen verschiedenen Haarteilen und ein Foto wie mein Kopf “oben ohne” siehst.
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